Wenn nicht darauf geachtet wird, kann Scheinselbstständigkeit eine Gefahr für Freiberufler und Unternehmen, die Freelancer einsetzen, darstellen. Der Status des Freiberuflers wird aberkannt, der Auftragnehmer wird zum Arbeitgeber und muss Sozialversicherungsbeiträge rückwirkend zahlen und auch weitere Strafen können folgen. Kontrollen freier Mitarbeiter oder Freiberufler mit Blick auf Scheinselbstständigkeit haben in den vergangenen Jahren zugenommen.
Grund genug, sich umfassend mit der Thematik Scheinselbstständigkeit zu beschäftigen. Entsprechend teilen wir unsere langjährige Erfahrung und best-practises auf diesem Gebiet in diesem Blog Post sowie im zugehörigen Webinar.
Transparenzhinweis: Die genannten Informationen wurden nach bestem Wissen und Gewissen zusammengefasst, es wird keine Haftung übernommen. Die rechtliche Lage ist einem ständigen Wandel unterlegen. (Stand: 24.03.2021)
Zusammenfassung
Was bedeutet Scheinselbstständigkeit?
Scheinselbstständigkeit stellt ein Arbeitsverhältnis dar, bei welchem ein vertraglich selbstständig arbeitender Auftragnehmer nach Kriterien der Behörden ein klassischer Arbeitnehmer ist und als solcher sozialversicherungspflichtig angemeldet werden müsste. Die Nichteinhaltung der Gesetze bezüglich der Scheinselbstständigkeit kann sowohl Auftraggeber als auch Auftragnehmer die Existenzgrundlage kosten, sollte eine der mit der Kontrolle betrauten Stellen die Scheinselbstständigkeit aufdecken.
In einem Statusfeststellungsverfahren kann von der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund der tatsächliche Status eines Auftragnehmers als Selbstständiger oder Angestellter geprüft werden. Diese Prüfung auf Scheinselbstständigkeit kann von der Deutschen Rentenversicherung Bund, einem Amtsgericht, dem Finanzamt oder Sozialversicherungen angefordert werden. Grundsätzlich können auch Auftragnehmer oder Auftraggeber eine Prüfung der Scheinselbstständigkeit einfordern, beispielsweise wenn ein Auftragnehmer Kündigungsschutz einklagen möchte oder ein Auftraggeber ein Vertragsverhältnis beenden möchte. Meist sind beide Parteien aber unbeteiligt und eine dritte Partei, wie die Krankenkasse, fordert eine Prüfung der Scheinselbstständigkeit ein, weil sie Beiträge nachfordern möchte.
Praxisbeispiel
Problem an den Gesetzen zur Scheinselbstständigkeit: Für Unternehmen und Freiberufler ist in der Gesetzeslage kein eindeutiger roter Faden zu erkennen – es gibt keine klaren Vorgaben zu „selbstständig oder scheinselbstständig“. Diese Intransparenz führt häufig zu Problemen. Passendes Beispiel hierfür stellt ein großer Automobilbauer dar, bei welchem sich zwei formal über Werkverträge dort arbeitende IT-Spezialisten erfolgreich als Arbeitnehmer in den Konzern eingeklagt hatten. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg wertete in dem damaligen Verfahren die Verträge als Scheinwerkverträge und gab der Klage der beiden IT-Spezialisten auf ein festes Beschäftigungsverhältnis beim Autobauer statt.
Zwar handelte es sich bei den beiden IT-Spezialisten nicht um Freiberufler, sondern um Leiharbeiter, welche über eine Arbeitnehmerüberlassungskonstellation bei weiteren Dienstleistern angestellt waren. Allerdings war der Effekt ein ähnlicher wie bei Freelancern – nämlich, dass sich der Endkunde durch die scheinbaren Werkverträge die Sozialversicherungsbeiträge einsparen konnte. Bereits 2013, zum Zeitpunkt der Klage, war klar, dass sicherlich auch bei vielen anderen Unternehmen Konsequenzen drohen könnten und die Kontrollen zunehmen würden. Es lohnt sich also, den Richterspruch des Landesarbeitsgerichtes genauer unter die Lupe zu nehmen. Mehr zu diesem Fall im weiteren Verlauf dieses Artikels.
Gefahren für Freiberufler
Betroffen sein können alle Selbstständigen, die Auftragsarbeiten machen. Insbesondere davon betroffen sind Freiberufler oder freie Mitarbeiter. Erste Konsequenz ist die Beendigung der Selbstständigkeit und ein nachträglicher Beginn des Beschäftigungsverhältnisses als Arbeitnehmer. Auf der einen Seite erhält ein Freiberufler dadurch zahlreiche Rechte, beispielsweise den Kündigungsschutz oder Urlaubsanspruch, zugleich muss er sich jedoch zahlreichen negativen Konsequenzen gegenüberstellen.
Besonders schwierig kann eine solche Konstellation werden, weil die meisten Freelancer sich ja sehr bewusst für die Selbstständigkeit entschieden haben. Sie wollen nicht angestellt sein, und haben z.B. ihre Altersvorsorge auf die Selbstständigkeit abgestimmt. Hier kann ein aufgezwungenes Angestellten-Verhältnis einen Strich durch die Rechnung machen.
Sowohl Auftraggeber wie auch Auftragnehmer werden rechtlich als Gesamtschuldner im Falle der Scheinselbstständigkeit angesehen. Der bis dato Auftraggeber kann daher die Arbeitnehmeranteile an den Nachzahlungen der Sozialversicherungsbeiträge für die vergangenen drei Monate von künftigem Gehalt des nun Arbeitnehmers abziehen. Zudem müssen ausgestellte Rechnungen vom Auftragnehmer bei Feststellung einer Scheinselbstständigkeit berichtigt werden. Hierzu zählt unter anderem die ausgewiesene Umsatzsteuer, welche als ungültig erklärt wird. Letztlich darf ebenfalls der Vorsteuerabzug nicht durchgeführt worden sein – falls bereits geschehen, muss die Vorsteuer an das Finanzamt zurückgezahlt werden.
Gefahren für Unternehmen
Sobald eine Scheinselbstständigkeit nachgewiesen werden kann, müssen sowohl Auftraggeber als auch Auftragnehmer mit rechtlichen und finanziellen Konsequenzen rechnen. Im Falle des Auftraggebers gelten bei Scheinselbstständigkeit selbstverständlich rückwirkend alle Haftungs- und Zahlungsverpflichtungen wie für normale Angestellte. Daraus resultiert, dass der Auftraggeber die Beiträge zur Sozialversicherung bis zu vier Jahre rückwirkend zahlen muss. Hinzu kommen eventuelle Säumniszuschläge.
Finanzämter können im Falle einer Scheinselbstständigkeit zudem Lohnsteuernachzahlungen rückwirkend einfordern. Auch hier gilt die Regelung von bis zu vier Jahren rückwirkend. Sollte eine vorsätzliche Scheinselbstständigkeit nachgewiesen werden, können Bußgelder, Gefängnisstrafen und Rückzahlungsforderungen für bis zu 30 Jahren auf die beteiligten Parteien zukommen. Ferner ist die Ausweisung der Umsatzsteuer auf den Rechnungen des Selbstständigen unwirksam, das bedeutet, dass der erfolgte Vorsteuerabzug als unzulässig gilt und die abgezogenen Vorsteuerbeträge berichtigt und zurückgezahlt werden müssen. Ab der Feststellung der Scheinselbstständigkeit gelten für den bisherigen Auftragnehmer sämtliche Rechte, die die Mitarbeiter des Unternehmens besitzen.
Überprüfung Scheinselbstständigkeit
Um Bescheid zu wissen, worauf bei der Vermeidung einer Scheinselbstständigkeit zu achten ist, sollte man sich im Klaren sein, nach welchen Kriterien die Behörden eine mögliche Scheinselbstständigkeit überprüfen. Wichtig hierbei ist zu verstehen, dass es bei der aktuellen Gesetzeslage und Rechtsprechung kein schwarz- oder weiß gibt. Jeder Fall, jede Überprüfung auf Scheinselbstständigkeit stellt eine Einzelfallprüfung dar. Daher gibt es nur hilfreiche Kriterien und Vergleiche zu anderen Fällen, anhand welcher man analysieren kann, inwiefern man als Unternehmen oder Freiberufler vom Problem der Scheinselbstständigkeit betroffen sein könnte.
Überprüfungen diesbezüglich beinhalten sowohl die Kontrolle der geschlossenen Verträge wie auch die tatsächlichen Verhältnisse und Bedingungen im Berufsalltag. Prüfer müssen dabei selbstverständlich Beweise für die Scheinselbstständigkeit finden und diese nachweisen. Hierbei finden unter anderem folgende Kriterien Beachtung:
- Regelmäßige Beschäftigung von nicht-versicherungspflichtigen Mitarbeitern
- Dauerhafte Verträge zwischen beiden Parteien
- Abhängigkeit eines Auftragnehmers von nur einem Auftraggeber – wenn mit einem Kunden allein der allergrößte Teil des Umsatzes erwirtschaftet wird
- Geregelte Arbeitszeiten
- Schriftverkehr mit Arbeitsanweisungen zwischen Freiberuflern und Unternehmen
- Geringe Stundensätze, die die Kosten von Freiberuflern nicht decken
Praxisbeispiel
Zurück zum deutschen Automobilbauer: Das Landesarbeitsgericht hat altbekannte Urteile des Bundesarbeitsgerichts zu Scheinwerkverträgen bestätigt. Bereits bekannte Faktoren wie die regelmäßige und/oder ausschließliche Beschäftigung von Personen über einen langen Zeitraum in eigenen Firmenräumen oder auch die Nutzung unternehmenseigener Geräte spielten hierbei eine Rolle. Im Fall des Automobilbauers zählten unter anderem die auf elektronischem Wege erteilten Weisungen an externe Mitarbeiter als entscheidender Faktor für das Gerichtsurteil und zeigen, dass Weisungen an Freiberufler allgemein möglichst unterlassen werden sollten.
Weitere Faktoren waren, dass die beiden IT-Spezialisten häufig zu festen Arbeitszeiten im Konzern arbeiteten und voll in das Unternehmen, beispielsweise mit festangestellten Mitarbeitern vernetzt waren. Die im Rahmen von Werkverträgen arbeitenden Spezialisten erfüllten demnach Aufträge mit Weisungscharakter abseits des Ticket-Systems, welches der Autobauer als Vorsichtsmaßnahme zur Vorbeugung von Scheinselbstständigkeit nutzte. Die Klage der beiden IT-Spezialisten auf Festanstellung war vor dem Arbeitsgericht Stuttgart ohne Erfolg geblieben. Dieser stellte sich aber jetzt eine Instanz höher vor dem Landesarbeitsgericht ein.
„Für die rechtliche Abgrenzung des Werk- oder Dienstvertrags zur Arbeitnehmerüberlassung ist allein die tatsächliche Durchführung des Vertrages maßgebend“, lautet ein Leitsatz des Urteils. Die Richter bekräftigen damit, dass juristisch nicht entscheidend sei, wie die Verträge mit freien Mitarbeitern formal aussehen würden, es komme darauf an, wie sie in der Praxis tatsächlich gelebt würden. Des Weiteren spreche der Umstand, dass der Autobauer in den vergangenen Jahren nie Gewährleistungrechte geltend gemacht habe, ebenfalls dafür, dass die IT-Spezialisten mehr als Beschäftigte als freie Mitarbeiter aktiv im Unternehmen waren. Das deutet nach Lesart des Gerichts darauf hin, dass tendenziell eher die Arbeitsleistungen denn, wie idealerweise bei freien Mitarbeitern der Fall, ein Arbeitsresultat eingekauft wurde.
Es ist klar – wie bereits erwähnt – dass die beiden IT-Spezialisten nicht als Freelancer in einer Konstellation bei dem Endkunden waren. Ebenso, dass es gravierende Unterschiede zwischen Arbeitnehmerüberlassungen und freiberuflichen Experten gibt.
Lernen müssen Freelancer und Kundenunternehmen aus dem Urteil des Autobauers allerdings, welche Faktoren und Indizien für sie eine rechtliche Abgrenzung zwischen einem gültigen Dienst- oder Werkvertrag und einer Arbeitnehmerüberlassungs- oder Angestellten-Konstellation darstellen.
Was lernen wir daraus? Mit diesen Erfahrungen kann man anhand von klaren Leitplanken dann guten Gewissens für den rechtssicheren Einsatz von höchstqualifizierten freiberuflichen (IT-) Spezialisten in Kundenunternehmen plädieren.
Vermeiden der Selbstständigkeit: fünf Tipps
Unwissenheit schützt vor Strafe nicht
Wichtig ist, dass Unwissenheit im Straffall nicht schützt. Als Selbstständiger haben Sie die Pflicht, sich das nötige Wissen bezüglich der Möglichkeit einer Scheinselbstständigkeit zu beschaffen und diese zu vermeiden. Sollten Sie sich nicht sicher bezüglich der rechtlichen Lage sein, finden Sie bei Beratern oder Anwälten Hilfe, um offene Fragen zu klären und Rechtssicherheit zu haben.
Überprüfen aller Verträge
Sämtliche zuvor genannten Kriterien müssen selbstverständlich mit dem Arbeitsalltag und den Verträgen abgeglichen werden. Haben Auftragnehmer Entscheidungsfreiheit und tragen ihr unternehmerisches Risiko? Im Vertrag sollte ein Hinweis darauf enthalten sein, dass keinerlei Weisungspflicht für den Freelancer besteht. Zudem kann in den Verträgen auch festgehalten werden, dass der Auftragnehmer regelmäßig Nachweise über weitere Aufträge und eine selbstständige Versicherung abliefert.
Trennung Hard- und Software und Räumlichkeiten
Als weiterer Schritt zur Vorbeugung von Scheinselbstständigkeit zählt, dass Unternehmen und Freiberufler nicht die gleiche Hard- und Software und Räumlichkeiten nutzen, sondern voneinander unabhängig sind.
Freie Wahl des Arbeitsorts
Je mehr Freiheiten Freiberufler in einem Unternehmen genießen, unter anderem bei der Wahl des Arbeitsorts, desto geringer ist das Risiko einer Scheinselbstständigkeit.
Freie Wahl der Arbeitszeit
Neben des Arbeitsorts zählt auch die Arbeitszeit zu den wichtigsten Faktoren, da Freiberufler üblicherweise weisungsunabhängig arbeiten und nur bestimmte Erfolge leisten, wann und wie sie dahin gelangen, sollte ihnen selbst überlassen sein.
Wie ElevateX Scheinselbstständigkeit vorbeugt
Aus der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Freiberuflern resultieren große Vorteile, dennoch müssen Aspekte wie die Scheinselbstständigkeit beachtet werden. Wir bei ElevateX unterstützen unsere Kunden nicht nur mit den besten IT-Experten, sondern ebenfalls bei der Vermeidung einer Scheinselbstständigkeit. Wir haben inzwischen über 15 Jahre Expertise im Bereich Freelancing und wissen daher Bescheid, wie sich Scheinselbstständigkeit intelligent vermeiden lässt.
Hierfür arbeiten wir sowohl mit der Kunden- wie auch der Freelancer Seite zusammen und geben Ratschläge, wie beispielsweise eine zu lange Beauftragungsdauer zu vermeiden und überprüfen die Thematik gesondert mit unseren internen Prozessen. Gerne geben wir Kunden und Freelancer unser Wissen diesbezüglich weiter, damit die Zusammenarbeit reibungslos funktioniert und alle Parteien ihr Ziel erfolgreich erreichen. Vertragsgestaltung und weitere Prüfungen übernehmen wir gemeinsam mit auf dem Gebiet erfahrenen Anwälten vor, womit das Risiko einer Scheinselbstständigkeit minimiert und der Nutzen – den Freelancer und Unternehmen ziehen können – maximiert wird.
Hilfreiche Fragen - wie kann ich mich schützen?
Einige Fragen sollte man sich bei Vertragsabschluss und in der tatsächlichen Umsetzung eines Auftrages immer stellen – wenn diese „falsch“ beantwortet werden, sollten die Alarmglocken schrillen und nochmals über die geplante Zusammenarbeit nachgedacht werden:
- Bestimmt der Auftragnehmer seine Arbeitszeiten eigenständig?
- Grenzen sich die Aufgaben des Auftragnehmers von denen der Festangestellten ab?
- Besteht eine Weisungsabhängigkeit zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber?
- Tritt der Auftragnehmer in der Außenwelt als Selbstständigkeit auf?
- Ist der Auftragnehmer frei von Kontrollen seitens des Auftraggebers – beispielsweise in Verbindung mit Hard- und Software?
- Hat der Auftragnehmer Freiheiten bezüglich des Berichtens von Leistungen?
- Die Liste ist nicht vollständig, hier gibt es noch weitere Fragestellungen, die betrachtet werden sollten…
Fazit
Zusammenfassend ist klar, es gilt die Scheinselbstständigkeit stets zu vermeiden und Problemen diesbezüglich vorzubeugen. Beide Seiten, sprich sowohl Auftraggeber wie auch Auftragnehmer, tragen die Verantwortung hierfür und sollten sich sowohl an die hier genannten wie auch weitere Regeln und Maßnahmen zur Vorbeugung von Problemen halten. Dann steht der erfolgreichen und zielführenden Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Freiberuflern nichts im Wege. Bereits an den Vorstellungen einer erfolgreichen Zusammenarbeit, zu welcher die Vermeidung einer Scheinselbständigkeit zählt, zeigt sich, wie gut zwei Parteien zusammenpassen. Wir beraten Sie hierzu gerne.